The Spirit of Cape
Verde - Der Geist der Kapverden
Die wenigsten
der international bekannten Künstler der kapverdischen Musik leben noch auf
ihrem kleinen Archipel von neun Inseln 500 Kilometer vor der Westküste Afrikas.
Sie leben in Paris, Lissabon, New York, Rotterdam oder sie sind gerade auf Tournee
irgendwo in der Welt. Der Titel "The Spirit of Cape Verde" (Der Geist der Kapverden)
umschreibt daher auch einen wichtigen Aspekt der kapverdischen Musikszene.
Die Musik aus Mindelo oder :::: Musik hat Ähnlichkeiten mit einem Geist,
der überall zu spüren und doch nicht wirklich greifbar ist. Der Erfolg
der Sängerin Cesaria Evora ermöglichte es, daß auch andere Musiker
von den Kapverden in der Welt gehört werden. Nur wenige Europärt kennen
diese kleine Inselgruppe im Atlantik, abgesehen von einigen Freaks in Surferkreisen,
die die rauhen Winde rund um die verstreuten Inseln schätzen.
Eigentlich gibt es die kapverdischen Inseln außerhalb ihrer Drei-Meilen-Zonen
gar nicht wirklich. Umso stärker entsteht aber in den Menschen, die von dort
stammen und nun in Europa und Amerika leben, immer wieder diese Sehnsucht nach
ihrer Heimat,- ein Gefühl, das kaum ein besseres Wort auf der Welt ausdrückt
und das kaum eine Sängerin glaubwürdiger besungen wie Cesaria Evora:
"Sodade" (Saudade, Sehnsucht).
Dieses Leben fernab der Heimat zwingt ein ganzes Volk, das zu 2/3 außerhalb
des Landes lebt, sich eine eigene greifbare Identität zu schaffen, die sich
besonders in den Rhythmen und Melodien ausdrückt. Mit Ende von Kolonialzeit
und Ära der Dampfschiffahrt, als sie ein wichtiger Zwischenstop der Schiffe
von Europa nach Südamerika waren, gab es auf einmal keine ausreichenden Erwerbsquellen
mehr für ihre Einwohner. Seither sind die Kapverdianer ein Volk von Auswanderern.
Es gibt noch weniger Regen als Arbeit. Ein Großteil der Bevölkerung
lebt von den Zuwendungen der Verwandten in den USA oder Europa. Gleichzeitig nimmt
der Strom von Einwanderern aus dem Senegal und anderen westafrikanischen Ländern
zu, der auch Drogen und Kriminalität auf die Inseln bringt. Dabei ist im
Vergleich zu vielen anderen Ländern Afrikas die kleine Inselgruppe im Atlantik
in politischer Hinsicht immer noch ein recht stabiles Land.
Die Musik scheint zur Zeit eines der wichtigsten Exportartikel zu sein und viele
der Musiker kapverdischer Abstammung mit Wohnsitz in Paris, Dakar oder New York
erinnerten sich in den vergangenen Jahren verstärkt der traditionellen Musik
ihrer Heimat und schaffen damit ein Gegenangebot zur mit Synthesizern und Drumcomputern
billig produzierten Zouk-Tanzmusik, die sich in afrikanischen Ländern während
der vergangenen Jahre wie eine Seuche ausgebreitet hat.
"Die Morna ist in Gefahr", warnt Ildo Lobo (Titel Nr. 2 "Nos Morna"), früher
Sänger bei der bisher erfolgreichsten kapverdischen Gruppe Os Tubaroes (Die
Haifische), in einem Interview mit dem französischen Musikjournalisten Francis
Dordor. Und er fährt fort: " Es geht mir nicht nur darum diesen musikalischen
Stil am Leben zu erhalten. Mir geht es um das gesamte Land und auch um Politik.
In Kuba gibt es richtige Musikschulen, die den jungen Menschen die traditionelle
Musik beibringen. So etwas würde ich mir auch hier bei uns auf den Kapverden
wünschen. Dort könnte man die Technik des Instrumentenspiels, aber auch
die Geschichte, die Theorie und die Philosophie der Morna studieren. In meinem
Stück "Nos Mornas" habe ich mich ganz bewußt an die Originalform mit
der Instrumentierung Gitarre - Cavaquinho gehalten. Ich möchte keine Synthesizer
und Drum-Maschinen verwenden...Aber wozu von einem Konservatorium sprechen, wenn
wir nicht einmal ein Aufnahmestudio haben, wenn die Instrumente mit 85 % besteuert
sind und es einem Abenteuer gleicht einen Satz Gitarren-Saiten aufzutreiben..."
Kein Wunder also , daß die Aufnahmen des vorliegenden Albums "The Spirit
of Cape Verde" in verschiedenen europäischen Studios eingespielt wurden.
Der große Erfolg von Cesaria Evora macht es auch möglich, daß
die Produktionen anderer Musiker wie Teofilo Chantré (Nr.12 "Tonte Vontade")
oder Tito Paris (Nr.3 "Preto e Mi") finanziert werden können. Der Produzent
von Cesaria Evora und Inhaber des französischen Plattenlabels Lusafrica,
José da Silva, hatte vor knapp zwanzig Jahren, Anfang der achtziger Jahre
in Paris als Arbeiter bei der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF angefangen.
Gleichzeitig war er selbst Musiker und besuchte die einschlägigen Musikclubs
kapverdischer Emigranten in Paris, Lissabon und Mindelo. Dort in Mindelo, der
Heimatstadt Cesarias auf den kapverdischen Inseln, sieht José da Silva
das erste Mal Cesaria Evora im Rahmen eines Konzertes der Gruppe "Cabo Verde Show".
Das Konzert ist furchtbar, die Musiker spielen auf billigen elektronischen Instrumenten
und Cesaria ist stark betrunken, nuschelt in's Mikrofon und zankt sich mit dem
Saxophonisten Luis Morais (Nr.13 Amildo Morais). Ein Jahr später sieht da
Silva Cesaria wieder in der Kneipe "Chez Bana" in Lissabon. Deren Inhaber Bana
lebt seit den sechziger Jahren in Lissabon und gilt mit seiner Gruppe "Voz de
Cabo Verde" (Nr.16 "Caminho de Sao Tome") als einer der ganz großen Sänger
der traditionellen kapverdischen Musik, seit er aufgrund seiner stattlichen Größe
und Kraft zunächst &Mac226;TrägerÔ des gehbinderten B.Leza ø eines
Onkels der Cesaria und bedeutendster kapverdischer Liedschreiber war. An diesem
Abend spielt Cesaria Evora in akustischer Begleitung und José da Silva
ist so ergriffen von ihrer Stimme, daß er ihr vorschlägt nach Paris
zu kommen um eine Platte aufzunehmen.
Der Rest von Cesaria Evoras Geschichte ist bekannt: Ihr kometenhafter Aufstieg
zu einer der ganz großen Sängerinnen unserer Zeit. Ihre Entdeckung
unterstreicht die Bedeutung akustischer, traditioneller Musik in einer Zeit der
Megachips und Samplings.. Dies gilt auch für die anderen Musiker, die auf
"The Spirit of Cape Verde" vorgestellt werden. Ebenso bedeutsam sind die persönlichen
Bande zwischen all den Musikern der kapverdischen Diaspora, die sich auf der vorliegenden
Platte versammelt finden: Tito Paris kam mit 19 Jahren nach Lissabon und spielte
in Banas Gruppe "Voz de Cabo Verde", in deren Umfeld auch Paulinho Vieira zu finden
war, der später als genialer Arrangeur die ersten Aufnahmen von Cesaria Evora
entscheidend mitbestimmt hat. Der persönliche Begleiter von Cesaria Evora
auf ihren Tourneen Angelo Spencer, spielte als Schlagzeuger in der Gruppe von
Teofilo Chantré. In Lissabon studierte damals auch Celina Perreira von
Boa Vista. Und alle Wege führen immer wieder nach Mindelo. Der Vater von
Bau (Nr.6 "Jailza") war ein bedeutender Instrumentenbauer in dieser Kulturmetropole
der kapverdischen Inseln. Bau selber ist heute der Arrangeur der Stücke von
Cesaria Evora. Fantcha (Nr.5 "Sonho d'um Criol") wurde in Mindelo geboren und
lebt heute in den USA, wo es eine starke kapverdische Community gibt. Sie war
oft zu Gast in Cesarias Haus in Mindelo. Aber das waren sie eigentlich alle, denn
schon immer war Cesaria Evoras Haus offen für alle ihre Freunde - sozusagen
ein kulturelles Zentrum inmitten dieser kleinen Hafenstadt.
Einer, der Cesaria Evora schon seit über vierzig Jahren kennt, und auch in
den Jahren ihrer Isolation mit ihr befreundet war, ist Manuel de Novas. Er hat
über 100 Stücke komponiert, und zwei davon sind auch auf "The Spirit
of Cape Verde" zu hören("Nos Morna" / "Sonho d'um Criol"). Zu erwähnen
ist noch die Formation Mobafuco (Nr.11 "Diogo-Nos Raca"), die auf der Insel Sal
als Band im Hotel Morabeza die Touristen mit ihrer Musik begeistert. Auf dieser
Insel befindet sich auch der Internationale Flughafen der Republik Kapverde. Sollten
Sie also eines Tages an Bord der einzigen Boeing 747 der Kapverdischen Fluuggesellschaft
TACV, benannt nach dem Komponisten B.Leza (Komponist von Nr.15 "Eclipse"), auf
Sal landen, dann versäumen Sie nicht den Besuch im Hotel Morabeza. Vielleicht
wird die Gruppe aber zu Aufnahmen in Europa sein oder auf Tournee in den USA oder
die Bandmitglieder sind zum Geldverdienen in einer Autofabrik in Frankreich, aber
das wird unwichtig sein, denn einen werden Sie sicher antreffen: den Geist der
Kapverden.
Alexander
Trofimow
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