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Aber dieser neugewonnene Arbeitskomfort hat nichts an der Sensibilität geändert, mit der die Sängerin, die zu den mitreißendsten Künstlerinnen dieser Zeit gehört, allgemeingültige Gefühle interpretiert. Obwohl sie ihren späten, unerwarteten Ruhm (und den damit verbundenen Reichtum) mit offenen Armen willkommen hieß, ist es Cesaria Evora gleichzeitig gelungen, entschieden auf ihre innere Unabhängigkeit zu pochen. Ihr Gesang beschwört noch immer die Ausweglosigkeit eines Lebens in den Hafenbars von Mindelo herauf, wo sie für Matrosen auf Landurlaub sang, die Angriffe der kleinlichen Bourgeoisie, die ihre Freiheit beneidete, und die mühsam überwundene Trauer um verlorene Liebhaber. In ihrer Stimme spiegelt sich die einzige Größe, das einzige Qualitätsprädikat wider, das diese Frau je für sich beansprucht hat: emotionale Würde. Das ist das wirklich Außergewöhnliche an Cesaria Evora: Obwohl ihr letztes Album "Café Atlantico" in Frankreich über 300.000mal verkauft wurde und sie - mehr oder weniger unbeabsichtigt - in die exklusive Kaste weltweit anerkannter Künstler aufgestiegen ist, konnte sie sich ihre Persönlichkeit bewahren, indem sie sich die Feinfühligkeit erhielt, mit der sie ein großzügiges Spektrum menschlicher Erfahrung zum Ausdruck bringt. Sie ist sich treu geblieben, und das gibt Cesaria Evoras Gesang eine beständige Wahrhaftigkeit. Der von Lela de Maninha geschriebene Titeltrack und Album-Opener, "São Vicente di Longe", ist eine wundervoll lethargische Morna. In wenigen Worten wird hier eine offensichtliche Tatsache verdeutlicht: je weiter sich Cesaria geographisch von ihren geliebten Kapverden entfernt, desto intensiver arbeitet sie daran, sich die musikalische Essenz ihrer Heimat zu erhalten. Die "barfüßige Diva" ist zur Weltreisenden geworden, eine unermüdliche Globetrotterin, die mit kindlicher Ungeduld neue Länder und Städte entdeckt und ein Flugzeug besteigt wie andere den Bus. Dieser nomadische Lebensstil, den Cesaria Evora erst spät im Leben entdeckte, machte schon "Café Atlantico" zur Begegnung der Kulturen: ein gemeinsamer Freudentanz, mit dem die Kapverden, Brasilien und Cuba ihre andauernden ozeanischen Verbindungen feiern. "São Vicente di Longe" (zu deutsch: "São Vicente - Cesarias Heimatinsel - aus der Ferne betrachtet) führt diese musikalische Entdeckungsreise konsequent weiter: Das Albumkonzept und die unterschiedlichen Beiträge münden in einem neuartigen kreolischen Kosmopolitismus, in dem Songs und Lebensgefühl zu einem beständig schillernden Sound verschmelzen. Dabei entwickelt jeder der 15 Tracks seine spezifische Individualität und fügt den diversen auf dem Album vertretenen Traditionen und Erinnerungen sein eigenes undefinierbares Quäntchen Charme und Originalität hinzu. Die Coladera Esperança Irisada wird von kubanischer Batas-Perkussion begleitet. Auf Ponta de Fi (übrigens Cesarias Debüt als Songwriterin) wird der kapverdische Cavaquinho durch kubanischen Tres ersetzt. Und der Bolero-danzonLinda Mimosa, dem die Orquesta Aragon Band eine blumige, altmodisch-sanfte Atmosphäre verleiht, wartet mit einer Mélange kapverdischer und hispanischer Kultur auf. Regresso entstand nach einem Gedicht von Amilcar Cabral (eine Schlüsselfigur des Unabhängigkeitskampfes auf den Kapverden und in Guinea-Bissau) und wurde in Brasilien durch die Version von Alcione bekannt. Cesaria Evoraführt mit diesem Titel auf elegante Weise ihre Partnerschaft mit Gaetano Veloso fort, die schon auf der Red Hot & Rio-Kompilation erfolgreich vertreten war. Und der brasilianische Standardtitel Negue, der lange zum Repertoire von Velosos Schwester Maria Bethania gehörte, wird bei ihr um Chucho Valdés´ einzigartig-elegische Harmonielinien bereichert. Das Album entwickelt sich organisch und folgt von Assoziation zu Assoziation, vom Oberflächlichen zum Intimen den verschlungenen Pfaden, aus denen sich seine üppigen Hoffnungen, Schmerzen und Träume nähren. Durch stilistische Entscheidungen wie die Cello- und Streicherarrangements des großen Jaques Morelenbaum (Partner von Antonio Carlos Jobim) auf Pedro Guerras Tiempo y Silencio, Simenteras Engelschöre auf Mario Lucios Dor di Amor und die ungewöhnliche Kombination von Morna und Gospel auf Teofilo Chantres Bondade e Maldade wirkt "São Vicente di Longe" gleichzeitig vertraut und unerwartet. Obwohl mit dem Westen vertraut, verlässt sich Cesaria Evora doch auf ihre heimischen
Erinnerungen und auf das wertvolle Material ihrer liebsten Songschreiber:
Manuel de Novas, B. Leza und Ti Goy. Letzterer ist für das gutgelaunte Nutridinha verantwortlich, in dem sich eine Zouk-gewürzte Coladera wie weicher warmer Sand an die Füße von Tänzern schmiegt.
Bei Teofilo Chantres Crepuscular Soldão kann sich der Hörer
in die perfektionierte Trauer einer Morna einfühlen, deren einzigartige
Kraft sich an der Darstellung von Schmerz zeigt: gleichzeitig vage und präzis,
unpersönlich und hochintim. Diese innere "Wellenbewegung" (eng
verknüpft mit den Wellen des Ozeans, der für die bewegte Geschichte
der Kapverden und für Cesarias persönliches Schicksal eine entscheidende
Rolle spielte) hat Cesaria Evora zu hoher Kunst perfektioniert. Auf ihrem neuen
Album flüchtet sie sich in Lachen, Leichtherzigkeit und Zufriedenheit,
um gleich darauf noch gefühlvoller in eine wunderbare Melancholie zurückzufallen. Aktuelles Album: Aktuelle DVD: Weitere Titel von Cesaria Evora bei Tropical Music:
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